Deutsche Unternehmen wollen Migranten ausbilden – die behördlichen Auflagen sind jedoch hinderlich. Fatina Keilani von der Neuen Zürcher Zeitung über den Bürokratie-Dschungel in Deutschland.
Ein Roboter auf der Baustelle? Caparol und der israelische Roboterhersteller Okibo präsentierten den Stand der Robotik-Entwicklung auf der BAU 2023 in München.
Vorher wurde er bei und mit uns ausgiebig in der Praxis getestet.
Aus dem Französischen hier die deutsche Übersetzung unseres Interviews mit Svitlana Kryzhaniwska und Le Monde. Zum Orginalartikel hier lang
Deutschland hat innerhalb eines Jahres 1 Million ukrainische Geflüchtete aufgenommen
Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges hat Deutschland mehr als 1 Million Personen aufgenommen und damit mehr als von 2014 bis 2016. Angesichts des Mangels an Arbeitskräften bemühen sich die Unternehmen, deren Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Svitlana Kryzhaniwska berührt noch ihr Handy. Sie macht es an und aus, ohne wirklich auf das Display zu gucken, als wolle sie sich vergewissern, dass sie immer noch bei ihren Nächsten sei, die in der Ukraine geblieben sind. „An dem Tag, an dem meine Stadt Ivano-Frankivst [im Westen des Landes] bombardiert wurde, am 24. Februar 2022, ist mein Leben gekippt. Ich hatte eine fürchterliche Angst. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass das geschehen könnte.“ Sie spricht von ihren 27 und 32 Jahre alten Söhnen und deren Familien, die in Kiew geblieben sind. „Sie haben mir gesagt: ‚Du sprichst deutsch, du solltest nach Deutschland gehen‘. Also habe ich den Bus genommen. Dort waren vor allem Frauen und Kinder und viele Katzen und Hunde. Ich bin nach Warschau gefahren und dann nach Deutschland.“
Wie viele Flüchtlinge, die in Folge des Krieges in Deutschland angekommen sind, ist Svitlana zunächst in der Nähe von Hannover in Niedersachsen bei Freunden untergekommen, die sie aufgenommen haben. Seit einigen Monaten hat sie ihre eigene Wohnung und einen Arbeitsplatz. Sie arbeitet bei temps, einem auf Gebäudeanstriche spezialisierten mittelgroßen Familienunternehmen in Neustadt am Rübenberge, 30 km von Hannover entfernt. Sie vermittelt 23 Flüchtlingen Grundkenntnisse in Deutsch, damit diese, wenn sie es möchten, eine duale Ausbildung in dem Betrieb beginnen können. 13 weitere Jugendliche lernen bei temps in einem anderen Kurs deutsch.
„Als sie mich bei temps gefragt haben, ob ich das machen würde, habe ich gesagt, ich habe nicht die Seele eines Lehrers“, sagt sie lachend, „ich habe eine Ingenieursausbildung. In Ivano-Frankivst habe ich ein Repräsentationsbüro einer belgischen Firma für Tiernahrung geleitet. Aber ich lege nicht gerne die Hände in den Schoß und niemand von den anderen Ukrainern hier sprach deutsch, also habe ich ja gesagt.“
Ihr Kurs hat nicht nur ein pädagogisches Ziel. Er ermöglicht es den Flüchtlingen auch, sich zu treffen und auszutauschen und auf diese Weise ihre Integration zu erleichtern, ein ausdrücklicher Wunsch des Unternehmens.
„Wir haben das traditionelle Fest des 14. Oktober gefeiert, [den Tag der Verteidiger der Ukraine], hier in den Räumen bei temps! Mit unseren Speisen, unseren Liedern und sogar einem Theaterstück. Es war großartig, es so zu machen wie zu Hause“, erzählt Svitlana. „Auf lange Zeit hier bleiben? Ich weiß nicht. Unsere Körper sind hier, aber unsere Gedanken sind immer noch dort.“
Sofortige Aufenthaltserlaubnis
Etwa 1,1 Millionen Ukrainer sind 2022 in Deutschland angekommen – 140.000 sind wieder zurückgekehrt – mehr als die Zahl der zwischen 2014 bis 2016 aufgenommenen Syrer, Iraker oder Afghanen. Dennoch gab es diesmal keine Bilder einer überlasteten Verwaltung, keine Reportagen über Notfallunterkünfte in Turnhallen, keine großen fremdenfeindlichen Demonstrationen oder Streits innerhalb der konservativen Parteien über eine Begrenzung der Personen, die Deutschland aufnehmen könne. Die ersten Aufnahmemonate liefen ohne Probleme ab, auch wenn einige Kommunen und Regionen kürzlich der Regierung signalisierten, dass sie an ihre Grenzen kommen, während sich der Flüchtlingsstrom auch aus anderen Ländern nicht abschwächte.
Nach einer im November 2022 erschienenen Erhebung des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (IFO) haben 22% der volljährigen ukrainischen Flüchtlinge bereits eine bezahlte Beschäftigung gefunden. „Der Wunsch zu arbeiten ist sehr stark“, betont Tetyana Panchenko, die Koautorin der Studie. Die Hälfte von ihnen arbeitet wegen fehlender Deutschkenntnisse in Beschäftigungsverhältnissen, die unter ihren Qualifikationen liegen, aber sie haben begonnen, Sprachkurse zu belegen, um dauerhaft einen Arbeitsplatz einzunehmen, der ihrem Ausbildungsniveau entspricht.
„Der juristische Rahmen ist nicht der gleiche wie 2015, das hat die Aufnahme enorm erleichtert“, analysiert Herbert Brücker, Experte in Migrations- und Integrationsfragen am Forschungsinstitut für Arbeitsmarkt und Berufsausbildung. Dieses Mal konnten die Ankommenden ab dem 4. Mai sofort von einer vorläufigen Aufenthaltsgenehmigung profitieren, aufgrund der sogenannten europäischen Richtlinie „Vorübergehender Schutz im Fall des massiven Zustroms von Flüchtlingen“.
Dieser Text, der 2001 beschlossen, aber bisher nicht angewandt worden war, erlaubte ihnen, die komplexen Anforderungen des Asylantrages zu vermeiden. Nach der Einschreibung bei der Gemeinde konnten sie sofort das Recht zu arbeiten erhalten und an den Integrationsprogrammen der Bundesanstalt für Arbeit teilnehmen, Sozialhilfe für die Arbeitslosen erhalten und ihre Kinder an der Schule anmelden. „Das heißt, dass alles, was wir 2015 erlebt haben – Grenzkontrollen, irreguläre Einwanderung, Arbeitsverbote, etc. – nicht stattgefunden hat“, hebt Brücker hervor.
Sehr wichtige Solidarität
Die Verpflichtung der Ankommenden, in Sammelunterkünften unterzukommen und am selben Ort bleiben zu müssen, wurde ebenfalls fallengelassen. „Die Kommunen können die Flüchtlinge selbstverständlich verteilen, ihnen eine Unterkunft zuweisen, aber sie tun es nur für die, die staatliches Wohngeld erhalten. Jetzt aber wohnen 90 % der Menschen ukrainischer Herkunft in privaten Wohnungen, sei es bei Bekannten oder weil sie eine eigene Wohnung gefunden haben. Das hatte man nicht erwartet“, fährt Herr Brücker fort.
Nicht vergleichbar mit der Situation von 2015, wo die Kommunen systematisch öffentliche Gebäude beschaffen, Aufnahmezentren oder Zelte für die Flüchtlinge errichten mussten. Diese im Gedächtnis gebliebenen Bilder sind diesmal die Ausnahme, für den Moment.
Hinzu kommt die Tatsache, dass das Profil der Geflüchteten nicht das gleiche ist: 80% der angekommenen Erwachsenen sind Frauen, 75% haben einen höheren Bildungsabschluss. Ihr Durchschnittsalter ist höher: 37 Jahre gegenüber 21-22 für die 2015 Angekommenen. Wegen der Nähe des Krieges ist die Solidarität der deutschen Bevölkerung sehr groß, was einen bedeutenden Einfluss auf ihre Integration hat. „Das entscheidende Element war der politische Wille, sie aufzunehmen“, fasst H. Brücker zusammen. „Was man aus dieser Erfahrung mitnehmen kann, ist, dass wenn man den Leuten die juristische Sicherheit gibt, die Möglichkeit, sich selbst zu kümmern – selbstverständlich mit der Unterstützung der Kommunen –, dann erleichtert dies die Dinge beträchtlich.“
Am großen Tisch seines Schulungszentrums sitzend erzählt Ulrich Temps, der Chef des Malereibetriebes, stolz, wie die Räume ein Treffpunkt der ukrainischen Flüchtlinge in Neustadt am Rübenberge geworden sind. Die erste Informationsveranstaltung im April 2022; der Tag, an dem ein Zahnarzt aus der Region kostenlose Untersuchungen gemacht hat; und das besagte großartige Fest des 14. Oktober mit seinem Bankett, deren Fotos er bewegt zeigt.
„Mein Vater war selbst Flüchtling“, erzählt er. „Er hat seine Geburtsstadt Gardelegen [Sachsen-Anhalt] 1947 verlassen, nachdem diese Teil der sowjetischen Besatzungszone geworden war, um sich hier im Westen niederzulassen. Er hat bei Null angefangen und hat den Maler-Familienbetrieb gegründet, der schnell florierte. Die anfängliche Motivation war, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“
Aber es gibt ein weiteres, sehr pragmatisches Motiv: die Bekämpfung der Überalterung seines Personals und der Mangel an Lehrlingen/Auszubildenden. Ein strukturelles Problem der deutschen Wirtschaft. „Als wir 2011/2012 die Zahl derjenigen Beschäftigten, die in 15 Jahren in Rente gehen, erfassten, waren wir schockiert. Es musste etwas getan werden, um die Lehre für die Jugendlichen attraktiver zu machen.“
Ulrich Temps schafft also ein besonderes Ausbildungsprogramm, vor allem für jugendliche Schulabbrecher, das er für die 2015 angekommenen Migranten öffnen wird. 2022 wird dieses Programm auf die Ukrainer ausgeweitet. „Hier bereiten wir sie auf möglichst individuelle Weise auf die Abschlussprüfung vor. Es gibt Deutschunterricht, die notwendigen technischen Begriffe, aber auch alles, was sie wissen müssen, um sich in die Gesellschaft zu integrieren. Alles, was die Ausbildungszentren normalerweise nicht machen“, betont Klaus Birkenhagen, ein charismatischer pensionierter Lehrer, der von temps für diese Kurse gewonnen wurde. Sechs wegen des Konflikts Geflüchtete arbeiten bereits im Betrieb.
Diese Problematik erklärt zum Teil das Nichtvorhandensein einer politischen Debatte über die Aufnahme von Flüchtlingen. Jenseits des Rheins wird sich der Mangel an Arbeitskräften in den nächsten Jahren aufgrund der zahlreichen Renteneintritte und einer wenig dynamischen demografischen Entwicklung erheblich verschlechtern.
Deutschland, das jährlich 400.000 Ausländer pro Jahr integrieren muss, wenn es seine Leistungsfähigkeit und das Gleichgewicht seines Sozialsystems aufrechterhalten will, ist sich bewusst, dass es seine Attraktivität den Ausländern gegenüber steigern muss. Neben einem Einwanderungsgesetz, dessen erster Teil im Herbst verabschiedet wurde, wird die Regierung die Anerkennung von Abschlüssen erleichtern und die zahlreichen verwaltungstechnischen Hürden für die Aufnahme von Fremden senken müssen.
Wie viele Ukrainer werden dauerhaft in Deutschland bleiben? Dies ist eine heikle, eine Tabufrage, denn kein Politiker kann sie offen dazu aufrufen zu bleiben. Sie selbst sind noch unsicher über ihre Zukunft über 2 Jahre hinaus, wie die Erhebung des IFO zeigt. Umso mehr, als sich die Wohnungsprobleme, besonders in den großen Städten schmerzhaft bemerkbar machen. H. Brücker glaubt nichtsdestotrotz, dass die Hälfte der Angekommenen länger bleiben könnte, wobei noch die Familienzusammenführung hinzukommt. „Das wird nicht alle unsere Probleme des Arbeitskräftemangels lösen. Aber das schafft eine Basis der längerfristigen Zusammenarbeit zwischen den Ländern, die interessant sein könnte.“
Ivan Kychatyi und Nikita Overchyk sind ebenfalls davon überzeugt. Die beiden Dreißigjährigen, die vor dem Konflikt nach Berlin gekommen sind, haben seit März 2022 eine Plattform eingerichtet, UA Talents, um Ukrainern und die Unternehmen, die sie einstellen wollen, zusammenzubringen.
„Die Seite verbreitete sich sehr in den sozialen Netzwerken und sie wurde von bekannten deutschen Unternehmen unterstützt, der Handel explodierte in wenigen Wochen.“ erzählt Ivan Kyachtyi auf Englisch. Unter den größten Kunden findet man Unternehmen, die Stellen mit geringer Qualifikation als Auslieferer, Fahrer oder in der Gastronomie anbieten. Aber die Hälfte sind Technologiefirmen, die an Informatikern interessiert sind, vor allem, wenn sie englisch sprechen.
„Es gibt ein großes Potenzial, um Brücken zwischen der Ukraine und Deutschland oder der EU im Allgemeinen zu bauen“, unterstreicht Nikita Overchyk. „Wir können qualifizierte Ukrainer vermitteln, z. B. Programmierer, selbst wenn sie im Land bleiben. Sie können aus der Entfernung für deutsche Unternehmen arbeiten und auf diese Weise ihre Familie versorgen und den Handel vor Ort unterstützen. Die Menschen dort arbeiten trotz allem weiter, sie schließen ihre Computer bei Stromausfall an externe Batterien an. Sie wissen sich zu helfen, vor allem, nach dem, was sie erlebt haben. Dies ist vielleicht eine Kraft, die sie Europa geben können.“
Die Frankfurter Allgemeine hat getitelt „Flüchtlingsintegration noch ganz am Anfang“. Das ist bei temps nicht der Fall. Ulrich Temps und sein Team setzen sich bereits seit 2015 ein und fördern Geflüchtete, ob nun über Praktika, Ausbildungsplätze und außerschulische Angebote.
Hier die Berichterstattung über Anwar Kadhim und Ulrich Temps aus „Das Malerblatt“
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